Live, laut, relevant – Tanja Herrmann über die Zukunft des Marketings

Tanja, du organisierst zwei der spannendsten Konferenzen in der Schweizer Marketingwelt: eine rund um Künstliche Intelligenz, die andere zur Welt des Social Media Marketings. Wie kam es zu der Idee, Konferenzen zu organisieren und wieso genau diese beiden Themenwelten?
Ich komme ursprünglich aus der Eventorganisation. Als ich mich vor acht Jahren mit der Influencermarketing Bertatungsagentur House of Influence (damals noch WebStages) selbstständig machte, wollte ich erst wissen, ob sich Leute in der Schweiz überhaupt für das Thema Influencermarketing interessieren. Also organisierte ich eine Konferenz zu dem Thema. Als dann das Thema AI aufkam, dachte ich, das ist eine riesen Chance, um mit all der Erfahrung aus meiner ersten Konferenz – dem Social Media Summit – ein zweites, eigenständiges Format aufzubauen. Eines, das sich spezifisch an Marketingverantwortliche richtet – nicht zu technisch, fokussiert auf die Aspekte, die Marketingverantwortliche direkt betreffen.
Du bist seit vielen Jahren in der Eventszene unterwegs. Wie hat sich deiner Meinung nach das Live Marketing in den letzten 5 Jahren verändert?
Während der Pandemie ist die Event-Szene kurz in den Winterschlaf versetzt worden. Die Idee in einem geschlossenen Raum mit mehreren Hundert Personen zusammenzukommen, war plötzlich von Unsicherheit und Angst geprägt. Das hat der Schweiz einen massiven Digitalschub verpasst, so dass Plattformen wie LinkedIn oder Technologien wie Teams massiv davon profitiert haben. Doch sobald es wieder sicher war, zusammen zu kommen, kamen die Leute noch zahlreicher als vor der Pandemie. Meine Meinung hat sich somit nicht verändert, sondern bestätigt, dass der Austausch, bei dem der Mensch ganz vor mir steht, unglaublich wertvoll ist und nach wie vor ein Bedürfnis darstellt.
Was man aber sagen kann: die Leute haben gefühlt immer vollere Terminkalender. Wenn man also möchte, dass sie sich Zeit nehmen, dann muss man etwas bieten. Und da reichen ein Glas Fendant und ein «Würstli im Teig» nicht mehr.
Und ergänzend, was würdest du im Kontext mit AI und Social Media zur Event-Entwicklung sagen?
AI-Tools uns Social Media Verbindungen können den Austausch und die Pflege der Beziehungen einfacher machen und dabei helfen, neue spannende Personen zu finden. Auch rein digitale Verbindungen können wahnsinnig wertvoll sein - und trotzdem fühlt es sich nicht gleich an. So oft hört man dann doch: «Wie schön, dich endlich mal in Person zu sehen». Es gibt den Beziehungen eine zusätzliche Dimension, die Vertrauen und Verbindlichkeit schafft.
Die «AI in Marketing Konferenz» fand 2025 erstmalig statt und bringt Marketingverantwortliche und Tech-Expert:innen zusammen. Was sind aus deiner Sicht aktuell die spannendsten Use Cases für AI im Live-Marketing?
Wer spannende Konferenzen organisieren will, muss verstehen, was die Leute interessiert. Das bedeutet viel Recherche – und das bedeutet wiederum Daten – und da kommt dann die AI ins Spiel.
AI-Integrationen können so für eine personalisierte Konferenz-Experience sorgen. Vom digitalen Concierge, der die für dich relevanten Sessions aus dem Programm sucht, automatisch Notizen zu den Vorträgen für dich mitschreibt oder dir eine Liste erstellt, mit den Personen, mit denen du dich unterhalten solltest.
Wird es eine Fortsetzung der «AI in Marketing Konferenz» geben und wenn ja, was würdest du bei der nächsten Durchführung gern anders machen?
Nach dem Ansturm der ersten Ausgabe freuen wir uns schon sehr auf die Fortsetzung am 29. April 2026. Anders machen würde ich vor allem eines: Die Internet-Verbindung. Die ist uns nämlich trotz zusätzlichen Bandbreiten und Lan-Verbindungen, die wir vorsorglich hatten legen lassen, bereits beim Check-In abgelegen. Und da die Badge-Drucker über WiFi mit den Scannern kommunizieren, wurde das ein seeeehr langsames Check-In. Nicht gerade der erste Eindruck, den man machen möchte.
Was macht für dich einen erfolgreichen Event aus – sowohl aus Veranstalter- als auch aus Teilnehmer-Sicht?
Wenn die Leute nach Hause gehen und sagen können: «Das hat sich gelohnt, da komme ich wieder.» Das interne Motto beider Konferenzen ist «Eine Weiterbildung im Eventformat». Mir geht es darum, mit viel Liebe ein Programm zu kuratieren, dass die Fragen der Teilnehmenden beantwortet, so dass für jeden genug dabei ist. Und das ganze in einer Location, die zum Austausch einlädt. Und damit die Leute auch wirklich happy sind, braucht es noch etwas: Gutes Essen.

Welchen Unterschied macht es für dich als Eventplanerin, eine Konferenz in den Bergen (wie den Social Media Summit) und eine in der Stadt (wie die AI in Marketing) zu organisieren?
Der grösste Unterschied ist das Commitment, das wir von den Teilnehmenden einfordern. Bei einer eintägigen Konferenz mitten in der Stadt, entscheiden Leute spontan, ob sie es sich einrichten und kommen vielleicht auch ein bisschen später.
Bei einer zweitägigen Konferenz in den Bergen, bei der man auch noch ein Hotelzimmer braucht, kaufen die Leute viel früher ein Ticket, da es eine viel bewusstere Entscheidung ist. Der Termin ist meist ein Jahr zuvor bereits fix im Kalender eingetragen.
Organisatorisch auf unserer Seite ist es vor allem die Tatsache, dass wir in Zürich alles unter einem Dach haben. Sprich eine Location, eine Ansprechperson. In Engelberg sind wir über fünf Häuser verteilt. Jedes wird von einer anderen Person geführt. Die Hotelzimmer werden zusätzlich noch über die Tourismusorganisation gemanagt.
Das erhöht die Komplexität massiv. So, dass wir bereits im Mai nach Engelberg fahren, um mit allen Beteiligten im Dorf Ablaufpläne und Anforderungen durchzugehen.
Welcher Mix aus Content, Networking und Experience funktioniert deiner Meinung nach heute am besten bei Corporate/Business Events?
Bei jeder Konferenzausgabe experimentieren wir mit einzelnen Elementen. Nicht alle Experimente waren erfolgreich, was ich aus acht Jahren gelernt habe, ist folgendes:
Die Leute wollen nicht zu viel Auswahl, sonst haben sie das Gefühl, zu viel zu verpassen. Wenn möglich, also nicht zu viele Sessions parallel anbieten oder wenn, dann gewisse mehrfach anbieten.
Bei klassischen Konferenzen, mit einem langjährigen Branchenpublikum, kennen sich die Teilnehmenden bereits. Sie gehen direkt aufeinander zu, lassen die Vorträge aus, und plaudern stattdessen. Aber bei einem jüngeren Publikum oder einer Branche, die sich erst noch am Formen ist, kennen sich die Teilnehmenden noch nicht. Gerade jüngere Teilnehmende, die das erste Mal an einer Konferenz sind, gehen nicht gerne alleine auf unbekannte Personen zu. Da braucht es einen Aufhänger zum Networking, der das ganze etwas auflockert. So holen wir die Teilnehmenden am Social Media Summit beispielweise schon vor der Konferenz über Gruppenchats ab, bei denen sie sich vorab virtuell austauschen können und sich dann auf Platz an Meetingpoints treffen.
Zudem sehen wir, dass die klassischen «Messestände» in unserer Branche ausgedient haben. Die Leute kommen, um etwas zu lernen. Somit sitzen sie in den Vorträgen und verbringen die Zeit nicht an Ständen von Anbietern. Gewonnen wird mit Wissen, das geteilt wird – nicht mit Sales Pitches.
Du bist Unternehmerin, Veranstalterin, Speakerin – wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus - oder gibt es den denn überhaupt?
Ich würde sagen, es gibt drei Arten von Tagen.
Option 1: Ich bin 8 bis 9 Stunden am Tag in Calls und Meetings: dort werden Strategien für Influencerkampagnen besprochen, Kooperationen für die Konferenzen sowie die spezifischen Fragen aus dem gesamten Team. Dazwischen beantworte ich Mails und gebe Verträge, Konzepte, Rechnungen und Co. frei.
Option 2: Ich bin am Unterrichten – sei es an einer Hochschule oder im Rahmen von Workshops direkt bei Kund:innen.
Option 3: Ich blockiere mir meinen Kalender, um konzentriert an strategischen Themen zu arbeiten. Das geht nicht zwischen zwei Calls, dafür brauche ich Zeit, um in verschiedene Richtungen denken zu können – und mit diesen Ideen etwas rumzuspielen.
Du arbeitest mit vielen Social Media Expert:innen, Brands und Agenturen zusammen. Welche Trends siehst du aktuell im Social Media Marketing?
Für die längste Zeit war Social Media Marketing etwas, das immer noch etwas belächelt wurde. Da gab es dann ein paar Praktikant:innen, die etwas «Lustiges» für die eigenen Social-Media-Kanäle machen sollten. Dann fiel auf, wie viel Reichweite hier erzielt werden konnte, also fing man an sich auf «Awareness» Themen zu fokussieren. Aber auch hier vielerorts immer noch mit wenig strategischem Ehrgeiz. Seit mehreren Monaten sehen wir, dass die Daten endlich mehr Gewicht bekommen, und Social Media als Performance-Kanal verstanden wird. Wenn man hier zudem aufhört, Social Media in «Organisch» und «Paid» zu denken, ist man der Konkurrenz einen massiven Schritt voraus.
Was wir aber auch sehen; gerade für sehr kleine Betriebe, die maximal eine Person im Marketing haben, die neben Social Media auch die Website, die Broschüren und Kundenevents organisieren soll, ist das nicht mehr machbar. Die Komplexität und der Aufwand, um hier erfolgreich mithalten zu können, ist massiv gestiegen. Denn die Messlatte ist inzwischen hoch. Das stellt gerade kleinere Betriebe vor eine wichtige Entscheidung: Welche Kanäle brauchen wir wirklich, welche können wir uns leisten, und was machen wir bewusst nicht.
Was war für dich bisher der überraschendste, schönste oder emotionalste Moment bei einem deiner Konferenzen?
Als jemand, der sein Geld mit Social Media verdient, sehe ich, was für Daten wir legal sammeln dürfen. AI hat das Thema noch verschärft. Als ich 2023 ein Panel am Social Media Summit zum Thema «AI - Chancen und Gefahren» moderierte, ging es in der Abschlussfrage darum, ob die Chancen von AI die Risiken rechtfertigen. Als Moderatorin ist es eigentlich nicht angebracht, die eigene Meinung reinzugeben. Doch als selbst die kritischsten Panelgäste noch zurückhaltend blieben, wollte ich das so nicht stehen lassen. Also äusserte ich vor über 400 Teilnehmenden meine Bedenken. Ich erklärte, warum ich es so wichtig finde, kritisch zu fragen, was denn passieren könne, wenn die Daten mit der boshaftesten Absicht verwendet würden, und ob wir es uns wirklich leisten können, wenn unreguliert - und damit ohne durchsetzbare rechtliche Konsequenzen - noch mehr Misstrauen in unserer Gesellschaft gesät wird. Mitten in meiner ungeplanten «Rede» fingen die Leute an zu klatschen. Eine Plattform geschaffen zu haben, bei der wir als Branche den Status Quo ganz offen kritisch hinterfragen dürfen und im Austausch mit Menschen aus Forschung und Praxis Lösungen zu diskutieren, und zu sehen, dass dies auf so viel Zustimmung stiess, war für mich persönlich bisher der emotionalste Moment. Es geht nicht darum, dass man selbst alle Antworten hat, sondern darum, dass man auch kritischen Fragen einen Raum gibt.
Wenn du auf deine bisherigen Events zurückblickst – was würdest du heute anders machen, und worauf bist du besonders stolz?
Zu Beginn wurde die Social Media Konferenz – die sich im ersten Jahr noch ausschliesslich auf Influencer Marketing fokussierte – in der Marketingbranche belächelt. Mir wurde das Telefon aufgehängt und Anfragen blieben meist unbeantwortet. Dass Social Media Marketing ein eigener Fachbereich ist, wollte ausserhalb unserer noch kleinen Bubble nicht so recht gesehen werden. Selbst als wir über Wochen im Vorfeld ausverkauft waren und mit knapp 800 Teilnehmenden bereits zu einer der grössten Fachkonferenzen der Schweiz gehörten, wurden wir noch immer etwas als «Hobby-Treff» abgetan.
Witzigerweise änderte sich dies schlagartig, als wir dann das zweite Format, die "AI in Marketing" Konferenz, lancierten. Als die Leute dann gesehen hatten, was wir bereits mit der anderen Konferenz aufgebaut hatten, riefen die ganzen Leute plötzlich uns an. Das war schon sehr ungewohnt.
Darum grundlegend anders machen würde ich nichts, sondern einfach weiterhin den Fokus darauflegen, wie ich für die jeweilige Branche, die relevantesten Inhalte zusammenstellen und mit viel Liebe zu einem Event verpacken kann.
Was können wir in Zukunft von dir erwarten – gibt’s neue Formate, Ideen oder Visionen, die du bald umsetzen möchtest?
Es gibt tatsächlich bereits ein neues Projekt. Parallel zur zweiten Konferenz haben wir die "Savoir Marketing Seminars" lanciert. Nachdem wir gesehen haben, wie viel Ansturm wir bei beiden Konferenzen auf die interaktiven Masterclasses hatten, war die Idee, diese «Weiterbildung im Eventformat» weiter zu denken. So bieten wir neu «Lernen, das sich wie Ferien anfühlt» an. Mit dem Netzwerk an nationalen und internationalen Speaker:innen, das wir uns über die Jahre für die Konferenzen aufgebaut haben, haben wir nun verschiedene 4-Tages-Seminare in den schönsten Hotels der Schweiz zusammengestellt. Von Generative AI bis zur ganzheitlichen Marketingstrategie. Zudem konnten wir unseren Hochschulpartner, die HWZ, gewinnen, so dass alle Seminare von der HWZ zertifiziert sind. Damit können wir neu auch neben den Konferenzen Zugang zu gut kuratierten Inhalten bieten, ohne dass dabei das Netzwerken verloren geht – denn bei allen Seminaren wird jeder Kurstag durch ein Rahmenprogramm wie Wine Tastings oder Steinbocksafaris abgeschlossen. Dieses neue Format dürfte mich die nächste Zeit erstmal gut beschäftigen.
Wenn Geld, Raum und Zeit keine Rolle spielen würden – welchen Event-Traum würdest du gern einmal realisieren?
Bis jetzt hat mich weder Geld, noch Raum oder Zeit davon abgehalten, einen Traum weiterzuverfolgen. Ich mag es mit neuen Ideen rumzuspielen und herauszufinden, wo die Hürden liegen würden. Wenn mich dann eine Idee nicht mehr loslässt, dann fange ich an herauszufinden, was wir machen müssen, damit es eben doch möglich ist. Ein Schritt aufs Mal. Das dauert dann manchmal etwas länger und es sind dann nicht die von einem Tag auf den anderen «riesigen Wagnisse» - aber es sind Wege, die zum Ziel führen.