Eventhauptstadt Zürich? Im Gespräch mit Tourismusexpertin Vanessa Reis

Vanessa, nimm uns mal mit in deinen Alltag: Was sind die spannendsten Momente in deinem Job als Head of Convention Bureau? Und gibt es auch mal Tage, an denen du dir wünschst, du könntest alles für einen Moment pausieren?
Die Vielfalt macht meinen Job einzigartig: Von internationalen Präsentationen bis zur lokalen Projektarbeit mit Stakeholdern aus Tourismus, Wirtschaft und Wissenschaft. Besonders die erfolgreiche Kongressakquise für Zürich begeistert mich. Natürlich gibt es auch herausfordernde Tage – besonders wenn ich mal wieder zu viel gleichzeitig vorantreiben wollte und alle Projekte gleichzeitig laufen. Aber die Dynamik der Branche ist genau das, was ich liebe.
Viele Veranstalter verbinden Zürich mit Luxus und einer hohen Lebensqualität. Aber wie leicht ist es wirklich, diese Qualität auch auf der organisatorischen Seite zu liefern? Gibt es da manchmal Überraschungen, die selbst dich ins Schwitzen bringen?
Zürich Tourismus steht für eine Premium-Destination mit hoher Erlebnisqualität. Diese Ziele leben wir im Convention Bureau täglich - von der Beratung bis zu unseren Eigenevents für Eventplaner:innen. Dank unserer flexiblen Partnerbetriebe und engagierten Teams erleben Kund:innen Zürich als perfekt organisiertes Schweizer Uhrwerk - auch wenn dafür manchmal lange Tage, kurze Nächte und spontane Reorganisation nötig sind.
Wenn du Zürich als Eventstandort mit einer Metapher beschreiben müsstest: Wäre es eine ruhige, stabile Lokomotive oder doch eher ein Tesla, der ständig unter Strom steht?
Zürich ist definitiv ein Tesla! Wir sind innovativ und modern, aber gleichzeitig auch sehr verlässlich.
Zürich hat sich als führender Eventstandort etabliert. Doch gibt es Bereiche, in denen die Infrastruktur an ihre Grenzen stösst? Wo siehst du den dringendsten Handlungsbedarf?
Für Events bis 1'000 Personen ist Zürich bestens aufgestellt. Bei Kongressen ab 1'000/1'500 Teilnehmenden fehlen jedoch Räumlichkeiten, die internationale Standards für Plenarsäle, Breakout-Rooms und Postersessions erfüllen. Ein multifunktionales Convention Center würde diese Lücke schliessen und könnte Zürichs Position als Kongressstandort deutlich stärken. Dazu haben wir eine Kongressstudie in Auftrag gegeben, die im Frühling veröffentlicht wird.
Die hohen Kosten der Schweiz sind oft ein Thema. Wie überzeugt ihr Veranstalter dennoch davon, dass Zürich die perfekte Wahl für ihre Events ist?
Wir sind eine Premium Destination mit allen positiven Attributen, die damit einhergehen. Internationale Erreichbarkeit, erstklassige Infrastruktur und kurze Wege, hohe Qualitätsstandards, Vorreiterin im Bereich Nachhaltigkeit und eine einzigartige Kombination aus urbaner Lebensqualität und Naturerlebnis.
Da das alles häufig schwer ist, auf einem Tablet an einer Messe zu präsentieren, nutzen wir als wichtigstes Sales-Tool Fam-Trips, bei denen wir internationale Eventplaner:innen in die Destination einladen und die Premium Destination und Service erleben lassen.
Hybride Events, Nachhaltigkeit, Erlebnisfokus – der Markt verändert sich rasant. Gibt es etwas, das dich besonders überrascht hat, wie schnell oder anders es gekommen ist, als du erwartet hast?
Die Geschwindigkeit der digitalen Transformation hat alle überrascht und gleichzeitig die Tatsache, dass viele Organisator:innen hybride Events nicht beibehalten haben. Ich glaube, der Kostenfaktor einerseits und das Bedürfnis sich wieder persönlich zu treffen, sind bisher die zentralen Gründe dafür. Was uns natürlich freut, doch ich bin auch gespannt, wo die Reise mit hybriden Events in Zukunft hingeht.
Wenn du auf die Eventlandschaft in Zürich schaust: Was denkst du, könnten Anbieter wie JED Events, das Kongresshaus oder kleinere Speziallocations besser zusammen machen, um den Markt noch attraktiver zu gestalten?
Die Zusammenarbeit zwischen den Locations könnte bei der gemeinsamen Vermarktung noch stärker sein. Zürich könnte bei Grossanlässen mit einem dezentralen Eventkonzept gegenüber anderen Destinationen punkten, dank kurzer Wege und der perfekten Infrastruktur. Dafür müssten alle Lokalitäten an einem Strang ziehen.
Ich frage mal ganz direkt: Siehst du den Wettbewerb in Zürich als Motivation für alle Beteiligten, besser zu werden? Oder gibt es manchmal auch den Wunsch nach mehr Kooperation statt Konkurrenz?
Wettbewerb sollte eigentlich eine positive Kraft sein und Geschäft und Qualität vorantreiben. In Zürich ist mein Eindruck, dass wir uns teilweise eher ausbremsen, da die Lokalitäten zu sehr in Konkurrenz stehen. Eventanfragen wurden schon an andere Destinationen verloren, bevor sie innerhalb Zürichs an einen anderen Anbieter gehen. Das würde ich mir als Destinationsvertreterin natürlich anders wünschen.
Wie könnte die Politik besser mit der Eventbranche zusammenarbeiten, um Zürichs Position als führenden Eventstandort zu stärken?
Im europäischen Vergleich sehen wir, dass diejenigen Städte, bei denen die Eventbranche als Thema in der Politik verankert ist, erfolgreicher in der Kongressakquise sind. Wichtig wäre, dass allen Stakeholdern bewusst ist, dass Grossveranstaltungen als Meilensteine für relevante Wirtschafts- und Wissenschaftsthemen dienen können. Natürlich würde ich mir wünschen, dass das noch mehr auf der politischen Agenda ist. Auch aus diesem Grund haben wir die Kongressstudie initiiert.
Wenn wir uns in zehn Jahren wieder hier treffen: Was müsste passiert sein, damit du sagst, «Das Zürich von heute ist das Epizentrum der Eventbranche»?
In zehn Jahren hätten wir ein strategisches Konzept zur Kongressakquise, das mit der Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlichen Hand abgestimmt ist. Daran arbeiten wir übrigens gerade. So würden wir regelmässig Kongresse und Grossveranstaltungen mit internationaler Strahlkraft gewinnen. Hotellerie und bestehende Lokalitäten würden diese Strategie mittragen und vielleicht gäbe es sogar ein nachhaltig gebautes, multifunktionales Convention Center.
Neben Zürich: Gibt es eine andere Stadt, die dich als Eventstandort beeindruckt? Und was könnten wir uns von ihr abschauen?
Im europäischen Raum schauen wir gerne nach Skandinavien, weil wir uns als Eventstandorte ähnlich sind. Vor allem die Art, Nachhaltigkeit konsequent in die Eventplanung zu integrieren, ist vorbildlich.
Eine letzte, etwas ungewöhnliche Frage: Wenn Zürich als Eventstandort ein Gastgeber wäre, was würdest du ihm als Charaktereigenschaft zuschreiben? Und warum?
Zürich wäre die perfekte Gastgeberin: Weltoffen, professionell und stets hervorragend organisiert. Zu Beginn noch etwas reserviert, aber jederzeit äusserst höflich. Wenn man dann ein zweites Mal zu Besuch kommt oder länger bleibt, wird man bereits wie bei Freunden empfangen.